Somewhere between LIES and TRUTH LIES the TRUTH

Somewhere between LIES

and TRUTH LIES the TRUTH

exhibition by damien hirst

„Treasures From the Wreck of the Unbelievable“

“Schätze Vom Wrack des Unglaublichen”

9 April – 3 Dezember 2017
Palazzo Grassi & Punta della Dogana – Venedig

EXPOSÉ

Vor mehr als 2000 Jahren erlangte Cif Amotan II, ein Sklave von Antioch, seine Freiheit wieder und fand zu großen Reichtum. Der ehemalige Sklave entwickelte eine Leidenschaft als Sammler antiker und kunstvoller Werke diese er in seinem Museum, das einem Tempel gleicht, errichten wollte. Der einzige Weg, um seine wertvollen Schätze zu verfrachten führte Übersee, so ladete er auf das rießige Schiff „Apistos“, was übersetzt „die Unglaubliche“ heißt, seine wertvollen Schmuckstücke und antiken Skulpturen, um sie sicher in ihr neues Zuhause zu transportieren. Der Tag an dem die Apistos in See stach war sonnig und klar und die See schien ruhig.
Die Apistos hatte die Hälfte des Weges bereits schafft, als dunkle Wolken am Himmel sich zu einer schwarzen, endlosen Fläche über den indischen Ozean verzogen und ein gewaltiger Sturm braute sich über dem Meer zusammen. Windböen peitschten gegen das Schiff und der niemals endende Regen überflutete die Reling. Die Natur überwältigte das gigantische Schiff und riss es in die unendliche Tiefe des Meeres auf den Grund des Ozeans und mit ihm alle Kunstwerke und Artefakte die bis in die Ewigkeit im Verborgenen liegen sollten.

Der Legende nach wurde das versunkene Schiff im Jahre 2008 auf den Tiefen des Ozeans wieder entdeckt und für den Fund wurde der britische Künstler Damien Hirst herbeigezogen, der sich finanziell an der Ausgrabung beteiligte. Die Bergung dauerte über 10 Jahre und was vorher in den Tiefen des Meeres verborgen war, ist nun in den Museen Palazzo Grassi und Punta della Dogana in Venedig zu sehen. Keine andere Stadt hätte besser in den Ausstellungskontext gepasst, als die italienische Lagunenstadt, zumal dieses Jahr die 57. Biennale vom 13.5. – 26.5. dort stattfindet.

Inspiriert von dem Meer und dem Impuls der kleinen italienschen Stadt mit ihren vielen Kirschen und Museen, möchte ich euch con der monumantalen Ausstellung „Treasures From the Wreck of the Unbelievable“ zu Deutsch „Schätze Vom Wrack des Unglaublichen“ erzählen.

KUNST VERSUS KITSCH

Mein Ausstellungserlebnis begann im Palazzo Grassi, wo ich bereits im Atrium von dem 18 Meter hohen „Demon with Bowl“ förmlich erschlagen wurde. Die Skulptur erstreckte sich über drei Stockwerke und nahm das Innenraum des Gebäudes völlig ein.

    

Abb. 1, 2 & 3: „Demon with Bowl. Exhibition Enlargement“. Bemalt in Harz. Palazzo Grassi

   
Abb. 4: „Demon with Bowl. Exhibition Enlargement“. Bemalt in Harz. Detailaufnahme vom rechten Bein. Palazzo Grassi.
Abb. 5: „Head of a Demon, Excavated 1932 (Exhibition Enlargement)“. Bemalt in Harz. Palazzo Grassi.

Der kopflose, gigantische Dämon, welcher mit seinem vor Männlichkeit protzenden Gestalt einem Adonis aus der griechischen Mythologie ähnelt, ist von bronzefarbenen Korallen übersäht und hält in der linken Hand eine Schale. Durch den abgetrennten Kopf, welcher neben ihm platziert wurde, wird erkennbar an welche myhologische Gestalt die Skulptur angelehnt ist. Bei dem echsenähnlichen Kopf mit den knollenförmigen Augen assoziiert man den babylonischen König der Winddämonen „Pazuzu“, jedoch ohne dessen Attribute wie die vier Flügel, den schlangenköpfigen Penis und den Skorpionsschwanz (Abb. 6). In ihm vereinen sich menschliches, tierähnliches und göttliches, was die Grenzen zwischen unheilerweckend, harmlos und zum anderen bösartig verschwimmen lässt. Seine ausgestreckte Hand lässt zwei Theorien zu. Zum einen wird er als zerstörischer Dämon gedeutet, der in seinem Gefäß menschliches Blut sammelt und zum anderen wirkt er so, als sei er ein Beschützer der einem Adligen diente.


Abb. 6: Pazuzu aus dem 1. Jahrtausend. Musée du Louvre


Abb. 7: „Submerged Demon with Bowl“. Fotografie

In einen kleinen Nebenraum wurde der Fund fotografisch festgehalten, um nachzuempfinden wie die Skulptur aus dem Meer „gefischt“ wurde.

Beeindruckt von dem gigantischen Werk führte eine Treppe mich in den ersten Stock, wo ich in einem abgedunkelten Raum die Bergung der Kunstwerke dokumentarisch nachverfolgen konnte.

Video: Dokumentation der Ausgrabung des Schatzes unter Wasser. Palazzo Grassi

Der mythologische Charakter zieht sich in den kommenden Werken weiter fort, wie bei den drei Skulpturen des Hermaphroditen, welche sich nach und nach aufzulösen scheinen (Abb. 8). Die linke Skulptur wirkt durch die weiblichen Kurven sehr feminin und steht in einer anmutigen Kontrapoststellung, wobei die Balance auf Grund der Gewichtsverlagerung bewahrt wird. In der zweiten Figur wird deutlich, dass sich das Gleichgewicht auflöst, da Arme und Beine fehlen und in der dritten Figur wird deutlich, dass sich die Gegensätze aufheben (Abb. 9&10). Das Verschwinden der Balance bedeutet in diesem Zusammenhang auch ein Verschwinden der geschlechtlichen Zuordnung. Die beschädigte Skulptur lässt auf einen zweigeschlechtlichen Gott deuten, welcher mit Korallenkrusten bedeckt ist. In Plato´s Symposium wird diese gottähnliche Position des Hermaphroditen näher erläutert. Hier beschreibt Aristophanes nämlich ein drittes Geschlecht, welches Mann und Frau vereint und somit mächtiger ist als das einzelne Geschlecht für sich.


Abb. 8: Hermaphrodite. Palazzo Grassi

   
Abb. 9: Hermaphrodite. Bronze. Palazzo Grassi
Abb. 10: Hermaphrodite. Bronze. Detailaufnahme. Palazzo Grassi

Desweiteren wurden einzelne kleinere Arbeiten in silberfarbenen Glanz und mit Korallenschichten übersähten Gebilden präsentiert. Besonders fasziniert mich die Naturbezogenheit in den Kunstwerken, wie sie mit ihrer gewaltigen Schönheit und Anmut das Skulpturale überwuchert und von ihm Besitz ergreift. Diese sentimentale Erscheinung erweckt zum einen etwas Erhabenes und zum anderen ist es dieser surreale Beigeschmack in Hirsts Schaffen was ein ambivalentes Gefühl aufkommen lässt, worauf ich später noch einmal eingehen möchte.

    
Abb. 11 & 12: Head of Sphinx. Kopf der Sphinx. Silber bemalt. Palazzo Grassi

     


Abb. 13. & 14: „Penitent“ („Der Büßer“). Silber bemalt. Palazzo Grassi
Abb. 15: Zeichenstudie zu „Penitent“. Palazzo Grassi

„Der Büßer“ veranschaulicht eine Gestalt, welche in eine silberfarbene Sadomasomaske gehüllt und von Rückständen des Meeres überzogen ist. Die Zeichenstudie zeigt den Entstehungsprozess der Arbeit.

In einem weiteren Werk präsentiert Hirst eine Frau die einer antiken Göttin gleicht und wie ein Schrein mit Kerzen und Blütenblättern in Szene gesetzt ist. Sieht man genauer hin erkennt man, dass der Künstler das markante Aussehen der Sängerin ¥o-Landi von der Band „Die Antwoord“ als Vorlage für die Ikone genommen hat. Ihr Körper ist in eine blau-grün erhabene Tonalität getaucht und mit goldenen Puderschichten partiell versehen.

    
Abb. 16 & 17: Aspect of Katie Ishtar ¥o-Landi Beneath the Sea. Puderbeschichtetes Aluminium, bedrucktest Polyester und Lichtbox aus Acryl. Palazzo Grassi

   
Abb. 18  & 19: Aspect of Katie Ishtar ¥o-Landi Beneath the Sea. Puderbeschichtetes Aluminium. Palazzo Grassi

Die darauffolgenden „Schätze“ wirken irritierend und zugleich belustigend, wie die mit bunten korallenüberzogene Mickey Mouse. An dieser Stelle kommt die Frage auf wo die Grenze zwischen Kunst und Kitsch ist?


Abb. 20: Mickey. Bronze. Palazzo Grassi

  

    
Abb. 21-24: Reclining Woman. Lehnende Frau. Pink marble. Punta della Dogana

Die Monumentalausstellung setzte sich im Punta della Dogana fort, wobei ich hier auf das Werk „Reclining Woman“ näher eingehen möchte. Der liegende Akt kommt der Schönheit einer Aphrodite gleich, deren Körper geschmeidig weich und sensibel wirkt. Herausgeschlagene Stellen wie das geteilte Bein und das abgebrochene Stück ihrer Brust, werden durch den zarten Rosafarbton und die Korallenstrukturen akzentuiert. In der Melancholie der Zerstörung erwacht die schlafende Schönheit zu etwas Sublimen. Die in den griechisch-römischen Legenden erzählen von weiblichen Statuen, die so lebensecht aussehen, dass sie dem der sie ansieht ihre Liebe und Begierde schenken. Kunst und Leben liegen hier nah beieinander. Wie in der Geschichte des Skulpteurs Pygmalion, der eine Figur aus Elfenbein, nach dem Abbild der realen Frau die er liebte, anfertigte. In dem Märchen drückt sich der Glaube aus, dass der Künstler in der Lage ist über die Natur zu herrschen und die Skulptur zum Leben zu erwecken.

Der liegenden Schönheit gegenüber gestellt, präsentiert Hirst im Obergeschoss der Punta della Dogana weibliche Torso. Zum einen eine Dreierkonstellation und zum anderen eine Inszenierung aus fünf Büsten.


Abb. 25: Grecian Nudes. Punta della Dogana


Abb. 26: Five Grecian Nudes. Punta della Dogana

Die fünf Figuren rufen sowohl anmutige und reizvolle Gefühle hervor und zugleich erwecken die extremen Wespentaillen und perfektionistisch geformten weiblichen Rundungen eine künstliche Assoziation hervor. Auf dem zweiten Blick erkennt man, dass sie an Barbiepuppen angelehnte Körperformen haben, was auch das nahezu perfekte Schönheitsideal erklärbar macht.

ZWISCHEN WAHRHEIT UND LÜGE

Die “Schätze” des Künstlers lassen einen in eine verträumte Märchenwelt mit mythologischen und theologischen Assoziationen eintauchen. Man begibt sich in einer Meereswelt, die zum einen authentisch und zum anderen sehr surreal wirkt. Die Hirst verschmilzt hier Wahrheit mit Lüge und stellt den Betrachter somit vor die Wahl, ob dieser an offensichtlich falsche Gegebenheiten glauben möchte oder nicht.


Abb. 27: Andromeda and the Sea Monster. Palazzo Grassi.

Neben den offensichtlichen Unwahrheiten, erschafft er durch das Vermischen zweier Geschichten eine neue – seine eigene-, wie in dem Werk Andromeda and the Sea Monster. Poseidon schickt in der Legende ein Seemonster, welches die angekettete Andromeda verschlingen soll. In Hirst Version schleicht sich jedoch der Weiße Hai von Steven Spielberg ein.

   
Abb. 28 & 29: Two Figures with a Drum. Punta della Dogana


Abb. 30: Bergung des Werkes „Two Figures with a Drum“. Punta della Dogana

Die Skulpturen lassen bei genaueren Hinblicken nicht darauf zurück schließen, dass sie 2000 Jahre am Grund des Ozeans lagen und auch die Dokumentation der Bergung ist inszeniiert. Die Detailansichten zeigen, dass die Korallen in einem Meer aus knalligen Farben aus Gips und somit vom Künstler selbst angefertigten wurden. Desweitern sind die „Schätze“ bewusst zwar als Stein ausgeschrieben, aber eigenlich aus Bronze angefertigt.
Der Mythomane Hirst iniziierte eine Welt aus Wahrheit und Lüge und stellt den Besucher vor die Frage was er zu glauben bereit, denn irgendwo zwischen Lüge und Wahrheit liegt die Wahrheit.

DIE SELBSTINSZENIERUNG DES GIGANTOMANEN

Der Gegenwartskünstlers ist neben seinem Schaffen als Künstler auch Kurator und wird von den Medien gerne auch als Kunstgott betitelt, der es liebt zu provozieren und zu schockieren. Den Kunstmarkt hatte er bereits in der Vergangenheit hinters Licht geführt und horrente Preise für seine Werke festgesetzt. Seine Arbeit „Lullaby Spring“ von 2007 brachte demnach 14,5 Millionen Euro ein und laut BBC investiere er selber $ 64,5 Millionen in die Ausstellungen im Palazzo Grassi und der Punta della Dogana. In „Treasures from the Wreck of the Unbelievable“ beleuchtet Hirst eine zeitgemäße Debatte, welche die aktuelle politische Stimmung in der Welt widerspiegelt und ist zugleich eine Darstellung seiner eigenen Lebensgeschichte. Damien Hirst stellt sich hier selber als den Sammler Cif Amotan II dar, der mit seinen Schätzen übers Meer fährt und in Schiffbruch geräte wodurch er seine Reichtümer verliert. Durch seinen Hang zur Illusion und seinen Drang zur Gigantomanie, schaffte er es sich sein eigenes Museum zu erschaffen.

Résumè

In Damien Hirst´s Werk verschmelzen Illusion, Fiktion, Surrealität und Mythos in einem. Ich selber war fasziniert und mitgerissen von der Monumentalität und der Naturerhabenheit die sein Schaffen ausdrückt. Die Tatsache, dass er mit offensichtlichen Lügen den Betrachter konfrontiert und ihn somit in sein Werk einbezieht, erzeugen eine Nähe, die mich persönlich an Kunstwerken immer sehr bewegt und es zu etwas einzigartigen macht. Hirst´s Ausstellung ist für jeden eine sinnliche Erfahrung, der der Realität entfliehen möchte und sich auf eine Reise in eine Traumwelt begeben möchte.

Quellenverzeichnis:
Internet:
Abb. 6: Pazuzu aus dem 1. Jahrtausend. Musée du Louvre

Alle nicht gekennzeichneten Abbildungen stammen von der Verfasserin.